LP

Unsere heutigen digitalen Kommunikationstechnologien führen uns an ein neues Prinzip der Konnektivität und Beziehungsgestaltung heran. Geografische und soziale Distanzen während Covid-19 bemessen nicht unsere Entfernungen zueinander, sondern die Intensität und Häufigkeit unserer (Online)Kommunikation. Wir müssen jedoch darauf achten, dass diese netzwerkartigen Züge von Beziehungen nicht den Wachstum von Ungleichheit, Inklusion und Exklusion bestärken. Hierbei sollten wir auch grundsätzliche Probleme im menschlichen Umgang auch im Offline-Leben angehen.

Trotz der Digitalisierung des Projektformates der Schatzkiste bemühten wir uns Verbindungen zu den Kindern zu bahnen, uns sozial gegenseitig zu unterstützen und über diese Medium unsere Freundschaft performativ aufzubauen und zu pflegen. „to perform“ heißt nach John L. Austin „eine Handlung vollziehen“ (Austin, John, 1976, S. 6f; Fischer-Lichte, Erika, 2012, S. 24), um eine soziale Wirklichkeit zu schaffen, die erst hervorgebracht wird. Wie soll das aber im digitalen Netzwerk funktionieren, wo das natürliche Gefühl des Körpers vergessen ist, wenn gemäß Butler der Körper ein continual and incessant materializing of possibilities ist (Fischer-Lichte, Erika, 2012, S. 42; Butler, Judith, 1990, S. 272)? Im Zusammenspiel von Imagination des Kennenlernprozesses und Sich-Versetzen in einen körperlosen Raum voller Fantasie knüpften wir eine Beziehung zu den Kindern, ohne dass wir ihnen je begegnen sind. Nancys Haut-Definition (1986) war dabei die Digitalisierung , welche uns eine Ausdehnung in der Kommunikation ermöglichte und uns alle aber auch zugleich einer gewissen Verletzlichkeit aussetzte. Wir erlaubten uns hier spürend zu sein und gespürt zu werden (Nancy, Jean-Luc, 2000a, S. 113), indem wir uns in ein Gemeinsamsein mit den Kindern einließen und unrealistische Aufgaben in Anbetracht von Covid-19 sein ließen.

Durch diese digitale Kanalreduktion und die Einrahmung auf Bildschirmgröße unter gleichzeitiger Reizüberflutung unterschiedlicher, parallele Gesprächsräume blieben uns manche Beziehungszeichen verwehrt, um gemeinsames Vertrauen zu den Kindern und untereinander kreieren zu können. Gemeinsame Berührungspunkte kompensierten wir symbolisch durch ein Lächeln oder auch verbal durch ein Feedback für die Kindern und uns gegenseitig. Unser Material wollten wir so gestalten, dass unsere Persönlichkeiten in ihm spür- und erlebbar werden. Unsere Einladungen zu gemeinsamen Handlungen und virtuellen Aktivitäten durch unsere Botschaften an die Kinder stellen einen Ausdruck unserer Wertschätzung und unseres Interesses an ihnen dar, um eine Annäherung erwirken zu können. Soziale Interaktion im digitalen Kontext kann als Spiel ausgedehnt sein, um einen größeren Freiraum für Nähe und Vertrautheit in ernsthaften Modalitäten gewährleisten zu können (Thaler, Verena, 2012, S. 144). Dies haben wir uns zu Nutze gemacht. Post, Kommentare, Hashtags und unsere Überraschung – trotz Digitalität wollen wir unseren gemeinsamen Entdeckungs- und Kennenlernprozess mit den Kindern präsent und allgegenwärtig machen; zugleich wollen wir die Kinder als Beziehungspartner mit ihren Talenten, Stärken und Schwächen dadurch würdigen. In diesem ganzen Beschleunigungsprozess des Lebenstempos durch Digitalität wollen wir innehalten und mit einer kreativen Ausgestaltung beziehungsfördernder, performativer Aktivitäten Freundschaften schaffen.

Wir haben untereinander neue Informationen ausgetauscht, Sichtweisen verändert und Prozesse in Gang gesetzt. Wer dabei richtig und leidenschaftlich mit all seiner Energie fragt, bringt BEWEGUNG in das Gespräch und kann ganze Reisen schaffen (Kindl-Beilfuß, Carmen, 2011, S. 8f).

Bis jetzt bleiben wir in Mit-Teilung mit den Kindern durch digitale Beiträge und durch die Vorbereitung unserer Überraschung. Durch dieses beständige voneinander Kraftschöpfen und Bestätigen ihrer Talente im Spiel möchten wir weiterhin unser Verflochtensein mit ihnen verfestigen. So können wir trotz digitaler Singularität gemeinsam sein.

LH

Abschluss der Schatzkiste 2020

Die letzte Sitzung der Schatzkiste ist mittlerweile eine Weile her und dennoch verlässt dieses besondere Seminar nicht meine Gedanken. Durch die besondere Situation waren wir dazu „gezwungen“, Verbindung zueinander und zu den Kindern lediglich digital herzustellen. Für mich persönlich, und ich denke da spreche ich für uns alle, war das zunächst eine ernüchternde Nachricht, zumal ich mich wirklich darauf gefreut habe, praktische Erfahrungen in der Schule zu sammeln und mit den Kindern ein tolles Projekt auf die Beine zu stellen. Ich merkte aber schnell, dass uns diese Zeit viele Bereicherungen und Lernmöglichkeiten brachte. So würde ich im Nachhinein behaupten, dass die Verbindung zwischen uns Seminarteilnehmern von Woche zu Woche enger wurde. Wir bastelten gemeinsam an unseren Ideen, inspirierten uns dabei gegenseitig mit unseren ganz individuellen Persönlichkeiten und lernten so auch ganz nebenbei die systemische Pädagogik kennen und lieben. Alle hatten wir nur das eine Ziel: den Kindern in dieser schwierigen Zeit voller Unsicherheiten einen kleinen Anker zu bieten. Ein „Ort“, nämlich die Schatzkiste, an dem sie sie selbst sein können und niemand sich daran stört.

„Eine grundlegende Denk- und Handlungsweise in der systemischen Pädagogik […] ist, die Blickrichtung zu ändern und, statt nach Fehlern und Schwächen zu suchen, die Stärken und Fähigkeiten der Kinder zu erkennen“ (Gollor, 2015, S. 89). So verwandelten sich die Kinder in Superhelden mit ganz besonderen Superkräften. Jeder auf seine ganz eigene Art und Weise. Ich hoffe, wir konnten ihnen diese Superpower, die sie ihren Superhelden geschenkt haben, auch im Alltag mitgeben. Es ist wichtig, den Kindern ihre Ressourcen aufzuzeigen, damit sie sie auch nutzen können. Umso erstaunlicher ist es, dass dies ganz ohne den zwischenmenschlichen Kontakt, der uns leider verwehrt war, stattgefunden hat. Wir haben unsichtbare Verbindungen geschaffen und die Kinder dadurch kennengelernt, wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht. „Damit das Kind sich auf den Erwachsenen einlassen kann, muss dieser beziehungsfähig sein“ (Gollor, 2015, S. 19). Beziehungen konnten, um auf dieses Zitat einzugehen, in dem Projekt zuhauf geknüpft werden. Sei es unter uns Seminarteilnehmern, zu den Kinder oder zwischen den Kindern untereinander.

Alles in allem blicke ich auf ein großartiges Projekt zurück, das aufgrund seiner Digitalität wohl nie ganz abgeschlossen sein wird. Und das ist gut so. Wir haben sozusagen etwas für die Ewigkeit geschaffen. Unsere Superhelden sind unsterblich!